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Mehr zum Thema: PUBLIKUM

Wer ist das Publikum?

Auf dieser Seite findet ihr Informationen zu eurem Publikum. Ich habe empirische Studien aus der Kulturmanagement Literatur zusammengetragen und hier zusammengefasst. Die Ergebnisse habe ich aus einer Marketing-Sicht kommentiert, sodass ihr Handlungsempfehlungen erhaltet.

Eine ausführliche Studienliste und so findet ihr in meiner Masterarbeit zum Thema “Besuchersegmentierung im Kulturmarketing”.

Da ihr Premium-Leserinnen seid, sende ich euch die Arbeit auch gerne kostenlos als PDF zu.


Alter

  • sehr alt
  • Interesse der < 50 Jährigen sinkt

Dass das Publikum alt ist, ist eine Binsenweisheit. Nach einer Studie von Reuband zufolge altert das Klassikpublikum drei mal schneller als die Normalbevölkerung.

Eine Studie der Wallace Foundation (2017) untersuchte die Millenials (18-40). Zumindest in den USA zeigen Studien, dass Millenials seltener in Hochkultur (Orchester, Oper, Museum, Theater) gehen, als frühere Generationen in dieser Altersspanne.

Aber es ist wohl nicht die Millienial Generation, die sich eher wenig für Hochkultur interssiert. Die Generation darüber (35-49 Jahre) kommt noch viel seltener, es ist also kein “Millenial” Problem, sondern es schwindet das Interesse für Hochkultur bei allen unter 50.


Bildung

… je höher die Bildung und je höher das Alter, desto häufiger der Konzertbesuch (Reuband 2011)

Das gilt jedoch nicht mehr für jüngere Zielgruppen:

,,[…]musical tastes are increasingly ‘omnivorous’ in character, at least amongst the privileged.“(Atkinson 2011)

Das kann (Hypothese) damit zusammenhängen, dass die Generationen, die nach der Pop-Revolution der 50/60er Jahre sozialisiert wurden, längst nicht mehr “die Hochkultur” alls alleinige repräsentative Kultur wahrnimmt.

Eric Clapton Fans können DAX Vorstände werden – oder umgekehrt


Motive für den Besuch

Motive (also salopp Kaufgründe) sind nur im Marketing relevant, wenn es darum geht, den “Theaterbesuch” per se anzustoßen (Martin 1999). Für den wichtigen nächsten Step: “Welches der Stücke schaue ich an” ist die Kommunikation von Motiven nicht mehr relevant.

Werbebotschaften, die Motive für z.B. Theaterbesuche aufgreifen, helfen also allen Theatern, aber eignen sich nicht, um speziell für eine Veranstaltung zu werben

Welches Stück konkret ausgesucht wird, entscheidet die “subjektive Einstellung” (ebd.) der Person. Über Interessen wie “Musik der Romantik, Beethoven, Van Gogh” können potenzielle Besucher:innen auch konkret für ein bestimmtes Angebot erreicht werden. Social Media Marketing ermöglicht solche Zielgruppen zu erreichen. Und mit einem Customer Relationship System, dass auch auf Daten des Angebotes (Theater, Museum etc.) zugreif, kann man solche Interessen auch im Dialogmarketing nutzen.


P.S.
Diese Erkenntnis erklärt, weshalb Kulturorganisationen so selten für ihre “Art” werben, also für “Klassik”, “Theater” oder “den Museumsbesuch” allgemein. Für die Kunstform per se zu werben wäre daher Aufgabe einer Dachorganisation, die nicht im Wettbewerb steht.


Nutzenversprechen

Der Nutzen, den sich ein Besucher von einem Theaterbesuch verspricht, lässt sich in vier Dimensionen einteilen:

  • Kernnutzen
  • sozialer Nutzen
  • symbolischer Nutzen
  • Servicenutzen

Kernnutzen:

Beispiel: Die Bühnenperformance erleben. Ein Kunstwerk sehen. Musik hören.

Interessant ist, dass weniger als die Hälfte der Konzertbesucher als Klassikliebhaber bezeichnet werden könnten. (Keuchel 2011).

Da bei Veranstaltungen ø 2 Tickets gekauft werden, mutmaße ich hier, dass es sich auch um “mitgeschleppte” Begleitungen handelt


Probleme, die Kultur löst

Oft heißt es, Kultur würde kein Problem lösen, daher würden die ganzen (Content-) Marketing Ansätze nicht passen. Das ist jedoch falsch. Kultur löst existenzielle Probleme des Menschen.

  • Stress –> Entspannen
  • Langeweile vom Alltag –> besonderes Ereignis, LIVE im Moment sein
  • Man ist nicht, wie man sein will –> Persönliche Entwicklung, be the cool artsy one to talk to
  • Emotionales Erlebnis –> ja, es darf auch einfach mal kitschig sein

(laut Wallace + LaPlaca Cohen Culture Track Studie 2014)


Sozialer Nutzen:

Bestimmte Leute im Theater treffen aka “Sehen & Gesehen werden” (Klein 2008)
- Besuch trägt zum Selbstverständnis und Fremddarstellung bei
- Gemeinsame Werte, wenn das kulturelle Angebot z.B. politisch ist und Themen wie “Diversity” oder “Klima” behandelt

Doch es fehlt oft die Begleitperson. In der USA Studie ist das ein großes Hemmnis für den Besuch. Zumindest Millenials wollen auch mit ihrer ganzen Freundesgruppe gehen. Da ist Hochkultur selten der kleinste gemeinsame Nenner, auf den sich alle einigen und freuen.

Gemeinsame Restaurantbesuche SIND eine Konkurrenz für Kulturorganisationen. Sollten daher als Ergänzung zum Kulturabend geframed werden.


Symbolischer Nutzen:

Der Besuch gehört zum Selbstbild der Person (“Ich bin so’n artsy Dude”)

  • In der Wallace Studie heißt es dazu sehr schön: “feel transcendental – part of something bigger”
  • Beim schicken Dresscode gibt es wohl positives als auch negatives - manche sehen es als Teil der Besonderheit, andere nervt es.

“Millennials want to be able to talk about what they’ve experienced on social media and in live conversations” (Wallet Foudation 2017)


Servicenutzen:

“Nice bedient werden”. Wichtig: mangelnder Service bietet eine beachtliche Besuchsbarriere! (Lutz 2010)

Diese Nutzenversprechen werden in der Marketingstrategie meist vernachlässigt


Gründe, gegen den Besuch (USA)

  • Keine Begleitung, die mitgehen würde
  • Wenig Wissen über die Organisation, die man besuchen würde
  • Kosten, aber nur im Sinne von “teuer, weil man nicht weiß, ob es einem gefallen würde”. Bei Popkonzerten weiß man, dass es gefallen wird und daher sind teure Tickets kein Hemmnis

Besuchsintensität

Ich möchte darauf Aufmerksam machen, dass es “Noch-Nie-Besucher” gibt, die danke großartiger Vermittlungsarbeit und Marketing zu “Noch-Nicht-Besuchern” werden und kurz vor einem Erstbesuch stehen.

Diese unglaubliche Arbeit wird jedoch nie prämiert, da es sich schwer nachvollziehen lässt. Erst der Besuch führt zu einer Nachvollziehbarkeit des Erfolges.

In einer Untersuchung des Publikums der Oper Frankfurt fand (Fischer 2006) einen positiven Zusammenhang zwischen Besuch und Bedarf, den er als „Gravitationseffekt“ bezeichnet (ebd., 221). Das heißt, je öfter man kommt, desto öfter will man wieder kommen. Was will man mehr?


Wer pro Saison > 6 mal kommt, ist hooked.


Kosten –> Risiko

  • 50 EUR ok, aber was wenn es mir nicht gefällt?
  • 100 EUR ok, ich weiß, dass es mir gefallen wird

Da auch in Deutschland oft die Kosten als angeblicher Grund für das Nicht-Kommen genannt wird, will ich darauf gesondert aufgehen. Die Hemmung liegt weniger in den Kosten als im Risiko, das Geld auszugeben und dann enttäuscht zu werden. Außerdem wird immer noch überschätzt, wie viel ein Kulturgenuss kostet. Das Klischee der 100 EUR Tickets ist fest verankert, auch wenn es günstige Tickets ab 10 EUR gibt.


Hardcorefans vs. Einmalbesucher

Im Falle der Deutschen Oper Berlin werden 77% der Tickets an 50% der Besucher verkauft (Fischer 2006).

(Das ist jedoch nicht so ungewöhnlich, wie man nun denken mag. Es gibt bei vielen Geschäftsmodellen einen kleinen Teil an Kunden, die für einen großen Teil der Käufe verantwortlich sind.)


“The customer base is starkly demarcated between first-time trialists (churn of 85%) and long- term loyalists (tenure of 4+ years; churn of 21%) with a 2-year chasm between them”

  • Neues Publikum ist easy, es zu halten ist die Kunst

Interessant ist in diesem Zusammenhang die Studie von Oliver Wyman (2008), derzufolge die Erstbesucher von amerikanischen Orchestern in 85% der Fälle nicht wiederkommen.


Woran scheitert der Wiederbesuch?

(Lutz 2013) gibt in einem Ranking als wichtigsten Grund für den Wiederbesuch einer Oper (aus der Sicht der Besucher) die „Qualität der künstlerischen Besetzung“ (ebd., 273) an.


Weitere Gründe:

  1. Qualität der Sänger, des Orchesters oder der Inszenierung
  2. zufriedenstellende Spielplangestaltung
  3. unkomplizierte Kartenerwerb
  4. Behandlung von Abonnenten
  5. besondere Affinität zu “Oper”

  • Marketing hat Einfluss auf Nr. 4 & 5

Ein unkomplizierter Kartenkauf heißt saubere User Experience, mobile Webseite + Ticketshop, einfache Kaufstrecken etc. (Servicenutzen). Die besondere Behandlung von Abonnenten manifestiert sich durch clevere Abostrukturen, dienstleistungsorientierung der Mitarbeiter mit Kundenkontakt und personalisiertes Customer Relationship Management.

Kernaufgaben des Online Marketings!


Gibt’s das Problem doch nicht?

Ich möchte jedoch auch zu bedenken geben, dass es ein Flaw in der Datengrundlage sein kann, wenn Besuche einem Besucher nicht zugeordnet werden können.

So kann die gleiche Person mehrmals ins Theater gehen (z.B. anonym über die Abendkasse) aber sie wird nicht als Wiedergänger erkannt. Schon ist die Statistik nichtssagend.


Zusammenfassung

In einer Studie von Tröndle, 2019 werden zwar leider nur Studierende befragt, aber es wird vieles was in diesem Beitrag bereits genannt wurde, präzise zusammengefasst:


Kulturpublikum =

  • weibliches Geschlechte
  • hoch gebildetes Elternhaus
  • frühe Theater- und Konzertbesuche mit Eltern/Schule
  • war selbst mal künstlerisch aktiv
  • kommt aufgrund persönlicher Empfehlungen, informiert sich online
  • hat einen kulturaffiner Freundeskreis zur Begleitung
  • Generell Nähe zur Kunst
  • Kultureinrichtung hat positives Image

Daraus könnt ihr eine Persona erstellen, die auch wirklich existiert, um junges Publikum zu erreichen.


Ich update diesen, wie die anderen Beiträge, sobald ich neue Informationen erhalte

Quellen außerhalb der Masterarbeit:

  • Building Millennial Audiences: Barriers and Opportunities
    The Wallace Foundation, Building Audiences for Sustainability January 2017
  • LaPlaca Cohen Culture Track Studie 2014